Überlingen, im Januar 2012
Liebe Mitglieder und Freunde,
mit unruhigem Herzklopfen geht die Waldorfschule Jaroslawl in das Jahr 2012: Im Dezember wurde der Direktorin Lena Sergejewa unwiderruflich mitgeteilt, dass die Stadt das Schulgrundstück noch in diesem Jahr überbauen werde. Wegradieren oder aushungern kann man die Waldorfschule wohl nicht mehr, dazu ist sie zu bekannt und gut vernetzt. Also hat die Stadtverwaltung ein neues Angebot unterbreitet, diesmal im Hochglanzformat: großes Gebäude, großes Grundstück, gute Lage plus Zusage, die Sanierungskosten zu übernehmen. Allerdings sollte das alles per Handschlag geregelt werden, was Lena Sergejewa standhaft ablehnte. Fazit: Nerven anspannendes Abwarten, was weiter geschieht. Alles ist möglich, auch das Wunder, dass die Stadt ihr Versprechen hält. Dann wäre die Schule sogar besser dran als jetzt mit den maroden, zu engen Gebäuden.
Fast langweilig erscheint dagegen der Rückblick auf unsere stetige und ungestörte Arbeit. Wie seit vielen Jahren schon haben wir die verschiedensten Veranstaltungen mit unserem Verkaufsstand begleitet: das Oberstufenkonzert und den Adventsbasar, den Frickinger Herbstmarkt, den Weihnachtsmarkt in Salem und vor allem die herzstärkenden und seelenerfrischenden Vorträge von . Die von Johannes Hermann ins Leben gerufene Lyrikmatinee zog so viele Besucher an, dass sich nicht alle Poesiefreunde zum russischen Buffet durchkämpfen konnten und es bei der Seelennahrung belassen mussten. Eine überraschende Freude bereitete uns Christa Kandel aus Würzburg, die beim dortigen Basar erfolgreich unsere Waren verkaufte. Auch die WS Kreuzlingen hat angefragt, ob wir nicht ihren Adventsbasar bereichern möchten. Ja, möchten wir!
Für alle diese Aktivitäten braucht es Hände, die tatkräftig umsetzen, was zunächst nur im Kopf existiert. Diese Hände sind da, und zu jedem Paar Hände gehört ein ganzer Mensch mit Hirn und Herz, der seine Zeit und Kraft zur Verfügung stellt. Ohne diese HelferInnen wäre es schlecht bestellt um unseren Verein, und wir sind daher glücklich, dass einige dieser "an der Basis" Tätigen an der Herbstreise nach Jaroslawl teilnehmen konnten. Dort erlebten wir alle, wie freudig und dankbar unsere Unterstützung angenommen und wie fruchtbringend sie umgesetzt wird.
Ein unterschätztes Zeichen der Dankbarkeit ist auch die Beteiligung "der Russen" an unserem Basar zu einer so unwirtlichen Jahreszeit. Auch diesmal kam die 9. Klasse mit drei Lehrerinnen und vier Eltern angereist, um bei den Vorbereitungen zu helfen, zu kochen, zu braten und zu backen und die Gäste des russischen Restaurants mit Musik und Tanz zu begeistern. Solche Eltern haben wir hier noch nicht gesehen! Sie konnten die Reise aus eigener Tasche bezahlen (das war leider, aber notwendigerweise die Bedingung), und sie brachten uns mit ihrem Tatenhunger und ihrer stupenden Fixigkeit auf Trab. Wir kamen ins Hecheln, um ihnen täglich genug Arbeit vorsetzen zu können – im Nu war alles in bester Laune und perfekt erledigt. Da konnten wir mit eigenen Augen sehen, was in Russland allmählich heranwächst: eine bürgerliche Mittelschicht, die es in diesem Land noch nie gegeben hat. Es sind intelligente, praktische und mutige Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und vom Staat nicht mehr so behindert werden wie früher, die freier, selbstbewusster, ehrgeiziger und zuversichtlicher sind als die vorige Generation. Ein Glück, dass die Schule solche Eltern hat, und ein Glück, dass die Eltern eine solche Schule haben. Denn anhand der Waldorfpädagogik lernen sie Werte kennen, die im wirtschaftlichen Leben in Russland so oft fehlen: Solidarität, Verständnis für den Schwächeren, Hilfe für den Benachteiligten, Wertschätzung des Individuums. Hoffen wir, dass der Schule, die so gar nicht den Eigennutz lehrt, solche aktiven und erfolgreichen Eltern erhalten bleiben.
Von unseren Finanzen war bisher nicht die Rede. Hier nur kurz das Wichtigste. Die "Waldorf-Stiftung" hat 1.000 Euro gespendet für die – inzwischen erfolgte – Renovierung und wunderschöne Ausgestaltung des Eurythmiesaals. Die Familie des Eurythmielehrers konnte eine Einzimmerwohnung erwerben mit Hilfe eines Kredits vom Verein WiR in Höhe von 15.000 Euro. Das ist das zweite Wohneigentum, das wir mitfinanzieren; die Rückzahlung erfolgt in eine schuleigene "Bausparkasse", die – im Verlauf wer weiß wie vieler Jahre – weiteres Wohneigentum ermöglichen soll. Die nächste Kreditanfrage liegt vor, aber wir mussten leider passen, da die Schulgeldzuschüsse und der Erhalt der Schule Vorrang haben. So haben wir für die vorauszusehenden Veränderungen (Anbau oder Umzug) bei der GLS Bank eine Rücklage von 15.000 Euro gebildet. Auch die Waldai-Initiative und Woronesch erhielten Zuwendungen. In Woronesch haben wir neben den Schulgeldzuschüssen den Grundstock für einen Solidarfonds gelegt, in den die besser gestellten Eltern einzahlen; denn auch hier entsteht allmählich eine Mittelschicht. Diese großen Geldbrocken haben ein Loch in unsere Kasse gerissen, so dass wir den Lehrern leider kein Weihnachtsgeld zukommen lassen konnten.
Wir schließen unsere lange Erzählung mit einem schönen Satz aus einem Dankesbrief des Woronescher Kollegiums: "Unsere Freunde – das ist unsere Lebenskraft." Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung, Ihr Vertrauen und Ihr Interesse und wünschen Ihnen Glück und Segen für das Jahr 2012.
Mit herzlichen Grüßen
Elena Bockemühl Bernd Strobel Bärbel Frömter