Sommer 2007
Nun war es also eingekauft, das Auto für Galina Wolkowa. Ein richtiges Schnäppchen: Ein schwarzer Ford Fiesta, zwar sechs Jahre alt, aber nur 55 Tkm, scheckheftgepflegt und in gutem Allgemeinzustand samt Sommer- und Winterrädern. Wie kommt so ein Auto nach Jaroslawl? Ganz einfach: indem man es hinbringt.
Und wie geht das? Ganz einfach, indem man ein Zollausfuhrkennzeichen besorgt und dazu die EU-Exportpapiere. Nach einer Woche, die man mit all diesen Vorbereitungen verbracht hat, denkt man, nun habe man alles richtig gemacht und begibt sich zuversichtlich auf die Reise.
Die Route? Am besten nicht auf dem Landwege durch Polen und Weißrussland, denn das ist langwierig, riskant und mit noch mehr umständlichem Papierkram verbunden, sondern zweckmäßigerweise mit der Fähre von Travemünde nach Helsinki, von dort sind es 150 km bis zur russischen Grenze, und dann via St. Petersburg nach Jaroslawl mit einer Übernachtung in Moissejevitchi auf den Waldai-Höhen. Vom Bodensee aus rund 1800 km Landweg.
Ein Auto fährt nach Jaroslawl? Prima! - Da könnte man doch noch dies und das mitgeben! Die Kunde scheint die Runde zu machen wie ein Lauffeuer, und schon ist das kleine Auto voll bis unters Dach: Die Felgen für die Winterräder, eine Dekupiersäge, eine Kiste voller Bücher, ein Autokindersitz (sperrig!), fünf Kilo Dinkel, etliche Kartons mit Bastelmaterial und die Lücken werden noch mit Puppenwolle ausgestopft. An der Grenze wird es uns dann mulmig: auch im Auto sind pro Person nur 35 kg Gepäck zugelassen. Wir haben mehr als das Doppelte und malen uns schon aus, in welcher Reihenfolge wir notfalls Transportgut in einen Müllcontainer entsorgen müssen: Zuerst die Felgen, dann die Bücherkiste, Getreideeinfuhr ist sowieso nicht statthaft, dann der Kindersitz ... Es kam ganz anders.
Am finnisch-russischen Grenzübergang mussten wir uns auf der Wartespur für Exportfahrzeuge einreihen. Es war halb elf am Freitagvormittag, vor uns standen drei Pkw, hinter uns zwei Leichenwagen, in einer Stunde wird das ja wohl erledigt sein. Dachten wir.
Abends gegen halb acht waren wir dann dran zur Abfertigung - und wurden nicht durchgelassen. Es stellte sich heraus, dass es an der Grenzstation nicht möglich ist, den Importzoll für das Auto zu bezahlen, sondern dass man sich dafür zu einer Zolldienststelle 50 km weiter nach Vyborg begeben muss, und das nicht etwa mit dem zu importierenden Auto, sondern sonst irgendwie (öffentliche Verkehrsmittel gibt es in dieser Richtung nicht), und bis zum Montagmorgen geht da sowieso nichts. Also umkehren nach Helsinki? Geht auch nicht, das Auto muss jetzt auf dem Zollparkplatz bleiben bis der Zoll entrichtet ist... Unsere Verzweiflung muss den Zöllner irgendwie beeindruckt haben. Noch vor ein paar Minuten hatte er einen jungen Mann unschön beschimpft, weil irgendwas an dessen Dokumenten nicht in Ordnung war. Jetzt war er auf einmal freundlich gestimmt und überlegte... da gebe es doch noch die Möglichkeit, einfach als Tourist einzureisen und das Auto dann in Jaroslawl bei der Zollbehörde zur Einfuhr anzumelden. Na prima, wenn das auch geht! - Also durften wir uns gleich vorne in die Warteschlange der Touristen einreihen. Und gerade, als sich ein junger Zöllner anschickte, unser Auto genauer in Augenschein zu nehmen, kam der freundliche Beamte kurz aus seinem Schalterhäuschen, sagte ein paar Worte zu dem Kontrolleur - und schon wurden wir durch den Schlagbaum gewinkt, ohne dass unser gewichtiges Gepäck eines Blickes gewürdigt worden war. Na, so ein Glück! Nach 8 Stunden Wartezeit fühlten wir uns richtig belohnt...
Bis nach Moissejevitchi zu fahren war an diesem Abend nicht mehr drin. Also folgten wir dem Rat eines einheimischen Leidgeprüften aus der Schlange, vor St. Petersburg in einem Motel zu übernachten und mit ihm am Morgen um 5 Uhr loszufahren, er würde uns zeigen, wie man um St. Petersburg herumfährt. Das war ein interessantes Angebot, denn der ADAC-Routenplaner weiß anscheinend noch nichts von dem neuen Autobahnring und hätte uns mitten durch die Millionenstadt und über den Newskij-Prospekt geschickt. Und ohne unseren Lotsen hätten wir die richtige Strecke nie und nimmer gefunden, denn die Beschilderung ist sehr spärlich. Um nach Jaroslawl zu kommen, folgt man zunächst der Hauptstraße nach Moskau. Das ist eine ziemlich breite und stellenweise sehr buckelige Piste, auf der es meist keine Markierungsstreifen, geschweige denn Leitplanken gibt. Der gesamte Schwerlastverkehr zwischen Moskau und St. Petersburg geht über diese Fernstraße. Gefahren wird, wo gerade Platz ist und nach dem Prinzip: wer mehr Risikobereitschaft oder die besseren Nerven hat, hat Vorfahrt. Und das auf eine Strecke von rund 600 km. Entspannend ist diese Fahrerei nicht, sondern sie kommt einem eher vor wie ein Krieg aller gegen alle. Und die großen Brummis dürfen sich sowieso alles erlauben, denn sie sind ja die Stärkeren. Ortschaften oder Städte sind eher selten, Ausblicke auf die Landschaft auch, denn es ist ziemlich flach, links und rechts nur Wald. Die Waldai-Höhen, wo das Dorf Moissejevitchi mit der Landbauinitiative von Michail Taracha liegt, sind ein landschaftlicher Höhepunkt. Nach 800 km Wegstrecke und 18 Stunden Reisezeit an diesem Tag sind wir dann um 1 Uhr nachts in Jaroslawl eingetroffen und konnten das Auto wohlbehalten überreichen - die weiteren (mehrtägigen) Komplikationen mit den Zollbehörden betrafen dann hauptsächlich die neue Besitzerin. Inzwischen sind auch diese nervenstrapazierenden Hürden überwunden, und Galina Wolkowa ist glücklich über ihren schwarzen 'einmaligen' Flitzer aus Deutschland - denn es gibt sonst keinen Ford Fiesta in Jaroslawl.
Hans-Ulrich Frömter